In einer Studie der New York University School of Medicine von 2016 sind 90 Tätowierer zu ihren Erfahrungen und Verhaltensweisen bezüglich etwaiger Hauterkrankungen der Kundschaft befragt worden. Was die Wissenschaftler interessierte: Sprechen Tätowierer mit ihren Kunden über auffällige Beobachtungen und raten sie zu weiteren Untersuchungen? Oder tätowieren sie die gewünschte Hautpartie, selbst wenn ausgerechnet dort ein atypisches Muttermal eher Anlass zum Besuch eines Hautarztes geben würde?
Ein wichtiges Ergebnis vorweg, das sehr dafür spricht, dass Ärzte und Tätowierer auf Augenhöhe sprechen: Tätowierer spielen eine große Rolle für die Hautgesundheit ihrer Kunden- Klientel. Sogar bei entzündlichen Reaktionen der Haut infolge einer frischen Tätowierung wenden sich die Betroffenen tendenziell eher an den Tätowierer ihres Vertrauens als an einen Arzt. Drei Viertel der Tätowierer wiederum schicken ihre Kunden dann zu einem Mediziner, vornehmlich zum Dermatologen.
Bei der Mehrheit der Mitarbeiter in den Tattoo-Studios ist das Problembewusstsein für die dermatologischen Fragen ihres Tuns durchaus vorhanden: 71 % der befragten New Yorker Tattoo-Künstler erkundigen sich bei ihren Kunden nach vormaligen Hauterkrankungen, 84 % geben Anweisungen zur Nachsorge, mehr als die Hälfte sucht die Haut ihrer Kunden nach verdächtigen Malen ab, um sicherzugehen. Es zeigt sich, dass die Gruppe jener Tätowierer, die bereits Fortbildung zu dermatologischen Themen erhalten haben, die fürsorglichste im Umgang mit ihren Kunden ist. Über 90 % der interviewten New Yorker Tätowierer äußern Interesse an dermatologischen Fortbildungen und einer engeren Zusammenarbeit mit Hautärzten.
Dermatologische Bildung für Tätowierer in Deutschland
Wie ist die gegenwärtige Situation in Deutschland? Ernüchternd, denn: „Tätowierer“ ist keine Berufsausbildung. Ein Gewerbeschein, eine Tätowiermaschine für 40 € aus dem Onlinehandel und schon kann das Unheil seinen Lauf nehmen. Obwohl die Tattoo-Verbände Bundesverband-Tattoo e. V., Deutsche Organisierte Tätowierer e. V. und der ProTattoo e. V. seit Jahrzehnten dafür kämpfen, ist der Prozess der Qualitätssicherung und der Ausbildung im Zweifelsfall der Community überlassen – die allerdings einiges dafür tut, sowohl Künstler wie Kundenkreis zu informieren und die Standards auf hohem Niveau selber zu entwickeln und zu halten. Erste zarte Vorläufer einer denkbaren zukünftigen Regulierung deuten sich auf der Ebene des Verbraucherschutzes mit der Initiative Safer-Tattoo des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an. Freilich richtet sich die Initiative in erster Linie an den Verbraucher, den – sehr – jungen, unerfahrenen Verbraucher.
Was Tätowierer interessiert:
Fortbildung im Bereich der Dermatologie wirkt sich positiv auf das Handwerk aus: Die Tätowierer erreichen eine neue Qualität im Umgang mit ihrer Kundschaft. Solche Fragen spielen dabei eine Rolle:
- wohin genau gelangt das Tattoo-Pigment in der Haut und in den Körper
- welches Schadenpotenzial ist damit möglicherweise verbunden
- welche Fremdstoffe sind wie schädlich, welcher Wirkmechanismus liegt dem zugrunde
- welche Komplikationen, wie allergische Reaktionen und Entzündungen können auftreten
- welche Pigmente können auf welche Art am besten entfernt werden
Hierzulande arbeitet man schon seit Jahren zu Fragen rund um das Tattoo und Gesundheit partnerschaftlich zusammen. 2013 wurde die Tattoo-Tagung Bochum gemeinsam von der Haut-Uniklinik der Ruhr-Uni-Bochum, dem ProTattoo e. V. und der DocTattooentfernung ins Leben gerufen.
In den USA hinkt man Deutschland an dieser Stelle ausnahmsweise hinterher, doch der Austausch mit unseren heimischen Tattoo-Profis hat bereits begonnen. Am 25. Februar wird die Tattoo-Tagung Bochum 2017 mit neuen Ergebnissen und neuen Erkenntnissen rund ums Tattoo in die nächste Runde gehen.
Die European Society on Tattoo and Pigment Research (ESTP), eine 2013 in Kopenhagen gegründete Organisation von Medizinern, Wissenschaftlern und Tattoo-Profis, verfolgt zudem in gemeinsamer Anstrengung, der Kulturtechnik der Tätowierung einen angemessenen Platz in der medizinischen Diskussion zu verschaffen. Der 3. Kongress der ESTP (#ECTP2017) wird vom 28. bis 30. März 2017 bei Herrn Prof. Wolfgang Bäumler an der Uni in Regensburg die neuesten Einsichten und Ergebnisse zur Epidemiologie von Tattoos, der Entwicklung von Pikosekunden-Lasern und der Behandlung von Komplikationen nach Tätowierungen diskutieren. (Wir werden zeitnah darauf hinweisen und ausführlich berichten.)
Was Ärzte von Tätowierern lernen können
Es ist dringend geboten, dass alle Parteien zusammenarbeiten, um einerseits interessierten Tätowierern die Möglichkeit zu eröffnen, sich in Fragen der Dermatologie grundsätzlich fortzubilden. Ärzte wiederum könnten im gleichberechtigten Austausch von den Erfahrungen in den Tattoo-Studios profitieren. Nur wer weiß, wie Tätowier-Mittel professionell in die Haut eingebracht werden, kann sie bestmöglich mit dem richtigen Werkzeug wieder entfernen:
- welche Inhaltsstoffe enthalten die unterschiedlichen Tätowier-Mittel
- Beobachtungen zu Hautirritationen vor und nach dem Tätowieren
- Zusammenhänge zwischen Hautirritationen und Tätowier-Mitteln
- wer tätowiert welches Publikum mit welchen Werkzeugen an welchen Körperstellen
- welche Entwicklungen zeichnen sich bei Tätowierungen in den Studios ab, bevor es die Arztpraxen erreicht
- wie gehen Tätowierer mit den Themen Wundheilung, -versorgung, Desinfektion und Hygienestandards um
Im Grunde sollte das Ziel sein, dass jedes Tattoo-Studio mit einer Hautarztpraxis zusammenarbeitet, um die bestmögliche Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten. Außerdem könnte auf diese Weise ein weiterer Beitrag zur Hautkrebsprävention geleistet werden. Vier Augen sehen meist mehr als zwei und so mancher ist dann doch häufiger bei seinem Tätowierer als beim Hautarzt zu Gast.
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